Kleiner Nachdenk-Zettel
Wer wählt, gibt seine Stimme ab – Was soll ich hier groß wählen?
Bald ist Bundestagswahl. Wir alle sind aufgerufen, unsere Stimme abzugeben.
Aber was steht eigentlich zur Wahl?
Können wir darüber abstimmen, was wir für ein besseres Leben brauchen?
- Arbeitsplätze, um die man nicht ewig fürchten muss und von denen man anständig leben kann
- Lebensmittel, die nicht krank machen und gut schmecken
- Ein Gesundheitssystem, das leistet, was erkrankte Leute brauchen, um gesund zu werden
- Wohnungen, die annehmlich sind und trotzdem bezahlbar
- Renten mit 60, die einem noch was erlauben für das Leben nach der Arbeit…
Obwohl das ziemlich bescheidene Forderungen sind in einem wirtschaftlich so starken Land wie Deutschland, steht so etwas überhaupt nicht zur Debatte. Keine der Parteien, die es in den Bundestag schaffen werden, hat das auch nur annähernd in ihrem Programm.
Um die handfesten Bedürfnisse der Leute geht es also nicht bei dieser Bundestagswahl. Auf dem Wahlzettel stehen ja auch gar keine sachlichen Alternativen zur Auswahl (und schon gar keine grundsätzlichen Alternativen im Sinne von: Wollen wir eigentlich dieses kapitalistische System oder vielleicht etwas anderes), sondern Parteien und Personen. Und wenn einer meint, er könnte die Politiker zur Berücksichtigung seiner Interessen anregen, indem er ihnen diese mal auf den Wahlzettel schreibt, dann erreicht er nur eines: Seine Stimme ist ungültig.
Worum geht es denn dann bei der Wahl?
Unsere Stimme ist Hilfsmittel für die Klärung der Frage, wer die nächsten vier Jahre die politischen Geschäfte dieses Staates führt – wobei alles Grundsätzliche längst und absolut feststeht:
- Es muss alles dafür getan werden, dass „unsere“ Wirtschaft weiter wächst
- dafür müssen Arbeitsplätze prekär und schlecht bezahlt sein, damit mehr Gewinn bleibt
- dafür muss Deutschland sich in der Welt mehr behaupten und allen, die unter der deutschen Exportwirtschaft leiden, zukünftig mehr die Stirn bieten, sprich: die Bundeswehr aufrüsten und noch mehr Waffen an seine politischen Freunde exportieren
Dieses Programm, das für einen Großteil der Leute nur Schaden bedeutet, steht sowieso fest. Die meisten haben vom Wirtschaftswachstum nichts außer Überstunden und Dauerstress. Und von Arbeit ist noch keiner reich geworden außer die Unternehmer und die Staaten. Mit der ganzen Wahl wird einzig und allein darüber entschieden, welche Politfigur die nächsten vier Jahre die entsprechenden Ansagen ans Volk machen darf. Wer die Parteien und Kandidaten ankreuzt, der unterschreibt das alles mit!
Es wird groß gezittert, dass zu wenige Leute wählen gehen. Warum das? Ist doch eigentlich scheiß-egal, wie viele oder wie wenige wählen gehen, wenn sachlich sowieso nichts davon abhängt.
Einerseits ja – denn auch bei noch so geringer Wahlbeteiligung ist letztlich irgendeine(r) gewählt. Andererseits nein. Denn die Wahlen sollen auch zeigen, dass das Volk grundsätzlich hinter seinem Staat steht, indem es eine der politischen Alternativen ankreuzt. Das ist nämlich das politische Ideal der Demokratie: Die Regierung mutet ihrem Volk allerhand zu (siehe oben), so dass notwendigerweise Unzufriedenheit entsteht. Das soll aber nicht dazu führen, dass irgendjemand auf abweichende Gedanken kommt. Jeder soll denken, dass die anerkannten Parteien nichts mit den Ursachen seiner Probleme zu tun haben, sondern ganz und gar für deren Lösung zuständig sind. Wenn der Bürger deshalb mit der gegenwärtigen Regierung unzufrieden ist, kann und soll er sie ruhig „abstrafen“ und aus „Protest“ eine andere wählen. Damit hat er erstens Dampf abgelassen, zweitens aber vor allem gezeigt, dass er nach wie vor bereit ist, sich auf dieses lustige demokratische Verfahren einzulassen: Ansage von oben, große Enttäuschung unten über Parteien, die letztlich doch alle „betrügen“ und – weiter geht’s mit der nächsten Wahl in vier Jahren…
Wer also will, dass es auf diese Tour weiter geht wie bisher, der soll nur wählen gehen – alle Parteien, die in den Bundestag einziehen werden, sind scharf darauf, sich auf diese Stimmen zu berufen.
Wer unzufrieden ist mit seinem Leben im kapitalistischen Alltag und in einem Staat, der gerade mal wieder loslegt, mehr „Verantwortung in der Welt“ zu übernehmen, sollte es sich mal gut überlegen – wählen hilft dagegen nämlich nix.