Lehre der Corona-Krise über Regierungen und ihre Entscheidungen

Das Corona-Virus gibt es seit Mitte Dezember. Lange lange heißt es hier in Deutschland, dass sei alles ein chinesisches Problem und für die deutsche Bevölkerung bestehe Nullkommanull Anlass zur Sorge. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn stellt sich ins Bild, um zu sagen, dass jede anständige Grippe-Welle in Deutschland gefährlicher sei – als seien die 25.000 Grippetoten aus 2018 ein gutes Argument dafür, sich um das neue Virus nicht groß zu kümmern. Das übrigens, obwohl schon der Ausbruch des Sars-Virus 2002 deutlich gemacht hat, wie schnell sich in „Zeiten der Globalisierung“, wie es immer so schön heißt, so ein Ding über den Erdball verbreitet. Anders als im „autoritären China“ sei es im freien Westen unmöglich, die Bürger mit Zwangsferien und strenger Quarantäne zu bevormunden, sprich: hier herrscht business als usual – Warenproduktion und -verkehr sowie das weltweite Rumdüsen werden nicht eingeschränkt. 


Das Virus erreicht in der Folge Europa, besonders Italien und Deutschland, und nach ein paar Wochen stinknormalem kapitalistischen Alltag mit ÖPNV und Arbeiten samt Karneval und Fußball sind die Infektions-Zahlen hoch und die ersten Leute mitten im prima ausgebauten Gesundheitssystem Deutschland tot. 
Italien hat inzwischen – freier Westen hin oder her! – erst seine nördlichen Städte, dann sein ganzes Land unter Quarantäne gestellt und kämpft mit explodierenden Infektionszahlen und vielen Toten, während sein Gesundheitssystem kollabiert. Kein Wunder, heißt es in Deutschland – das ist Italien mit seinem üblichen Murks: zu spät getestet, zu schlecht ausgestattet, schlecht regiert, Mafia, man weiß Bescheid.
Nebenbei bemerkt: Was der schlechte Zustand des italienischen Gesundheitssystems mit den Euro-Sparvorgaben zu tun hat, will man jetzt eher nicht so genau wissen…

Dann kommt in Deutschland die Wende in der Regierungslinie. Es gibt jetzt nämlich doch Anlass zur Sorge. Zu schwerer Sorge – das weiß jetzt die Regierung und dann dürfen die Bürger in einer Demokratie das nämlich auch so sehen. Zu soviel Sorge, dass vieles, was gestern undenkbar war, über den Haufen geworfen wird: Schulen geschlossen, quasi unbegrenzte Kreditzusagen an Banken und Unternehmen, Steuerstundungen und Kurzarbeiter-Regelungen, Verstaatlichungen für systemrelevante Unternehmen usw. Das alles geht, wenn der Staat es will.
Finanz- und Wirtschaftsminister klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, weil sie dem Virus so entschlossen entgegen treten. 

Das ist alles ziemlich interessant und aufschlussreich. Wird so das Virus bekämpft? 
Einerseits ja: die Infektionsketten sollen jetzt doch unterbrochen werden. Die „Dynamik“ des Geschehens müsse so verlangsamt werden, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht zusammenbricht, heißt es. Unser wohlgemerkt „herausragendes Gesundheitssystem“!  
Andererseits: Nur ein Teil der Maßnahmen hat direkt damit zu tun, Infektionsketten zu unterbrechen. Mit den meisten Maßnahmen wird etwas anderes bekämpft: das Zusammenklappen der deutschen Wirtschaft! Die ist nämlich inzwischen in eine ganz eigene „Corona-Krise“ gekommen. Das und zwar nur das hat den Entscheidungsträgern offenbar heftigen Eindruck gemacht:
• Der Dax, also der deutsche Börsenindex, ist innerhalb einer Woche um 20% abgestürzt – das hat es vorher noch nie gegeben.
• Führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler haben quer durch alle Lager und Kapitalfraktionen davor gewarnt, dass es zu einer massiven Krise kommen kann, wenn Deutschland die Sache weiter laufen lässt.
• Die USA haben Europa und Deutschland als Ansteckungsherd ausgemacht und Abschottungsmaßnahmen beschlossen. 

Was merken wir uns? Was seit Monaten unter dem Label „die Regierung sorgt sich um die Gesundheitsgefahren für ihr Volk durch ein neuartiges Virus“ daherkommt, ist tatsächlich etwas anders gestrickt. Wie es für die Verwaltung eines kapitalistischen Standorts sachlich ganz angemessen ist, setzt die Regierung die bedrohte Volksgesundheit ins Verhältnis zu dem, wovon in dieser Gesellschaft alles lebt und wofür hier deshalb auch alles da ist: Wirtschaftswachstum. Solange das läuft, wird beschwichtigt, klein geredet, laviert – auch auf die Gefahr hin, dass gerade dadurch die Infektionen steigen. Wenn aber das Virus „unsere“ Unternehmen, „unsere“ Außenbeziehungen, „unsere“ Börse und womöglich sogar den Geldkreislauf attackiert, dann muss gehandelt werden…
Und dann kommen die konstruktiv besorgten Presse-Zamperonis und Plasbergs und werfen dem, was sie gestern noch alle andächtig akzeptiert und gegen Kritik in Schutz genommen haben, mangelnde Weitsichtigkeit und Vogel-Strauß-Politik vor.